Auf der Suche nach versteckten Kammern rund um Tutanchamuns Grab

Case study

Autor: Lorenzo Bonelli

Der komplette Artikel von Luigi Sambuelli, Cesare Comina, Gianluca Catanzariti, Filippo Barsuglia, Gianfranco Morelli und Francesco Porcelli wurde im Original in der März/April-Ausgabe 2019 des Journal of Cultural Heritage von Elsevier veröffentlicht: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1296207418308124

Das Grab des jungen Pharaos Tutanchamun ist das berühmteste der Nekropole im Tal der Könige nahe der ägyptischen Stadt Luxor. Es wurde 1922 von Howard Carter nahezu ungeplündert entdeckt.

Über das Vorhandensein verborgener Kammern und Korridore im Umfeld von Tutanchamuns Grab (Kurzbezeichnung KV62) wurde in der Vergangenheit viel spekuliert. 2015 keimte der Verdacht, diese Kammern könnten das noch unentdeckte Grab der Nofretete beherbergen. Um dieser These nachzugehen, wurden 2015 und 2016 in KV62 Bodenradaruntersuchungen durchgeführt, die jedoch zu widersprüchlichen Ergebnissen kamen. Aus diesem Grund wurde 2018 eine dritte Analyse mit der Technologie von IDS GeoRadar vorgenommen.

„Diese Aufgabe war aufregend und herausfordernd zugleich. Was daran aufregend war, ist klar: Wir untersuchten nach 3.300 Jahren die letzte Ruhestätte eines legendären ägyptischen Königs. Tatsächlich hat unsere topmoderne Mehrkanal- und Mehrfrequenztechnologie durch die Wände der Kammer hindurch beispiellos genaue und hochaufgelöste Details sichtbar gemacht“, ist Gianluca Catanzariti, der Bodenradar-Fachmann von 3DGeoimaging, stolz.


Ein Jahrhundertfund



Dieses Bild zeigt eine Skizze der Bildpositionen und des von HF-Scans abgedeckten Bereichs entlang der West- und Nordwände.

Bodenradartechnologie wird oft und erfolgreich für Anwendungen in der Archäologie und Forensik eingesetzt. Angesichts des zu erwartenden physischen Kontrasts zwischen dem Fels, aus dem das Grab herausgehauen ist, und den vermuteten verschlossenen Durchgängen sowie einem möglicherweise vorhandenen hölzernen Türsturz ist Bodenradar die effektivste Möglichkeit, an KV62 angrenzende Kammern nachzuweisen.

Die erste Bodenradarmessung legte nahe, dass sich jenseits der verzierten Nord- und Westwand der Grabkammer zwei in sich abgeschlossene leere Räume von beachtlicher Größe befinden. Dieses Ergebnis wurde als „Jahrhundertfund“ bezeichnet.

Zur Bestätigung gab das zuständige ägyptische Ministerium eine zweite Bodenradaruntersuchung in Auftrag. Diese zweite Vermessung wurde von einem National-Geographic-Team mit einer Bodenradarantenne im mittleren/hohen Frequenzbereich durchgeführt, um die Wände des Grabs zu durchdringen. Bei dieser Gelegenheit ließen sich die Ergebnisse des ersten Scans von KV62 jedoch nicht bestätigen. Die beiden Untersuchungen widersprachen einander also. Daraus lässt sich ableiten, dass die Komplexität der Fragestellung unterschätzt wurde.

Dementsprechend entschied das Ministerium, eine dritte, umfassende geophysikalische Vermessung von Tutanchamuns Grab vornehmen zu lassen, um endlich belastbare Daten über das Vorhandensein verborgener Kammern und Korridore angrenzend an KV62 zu gewinnen.

Um potenzielle technische Unsicherheiten von vornherein auszuschließen, rüstete sich das italienische Team, bestehend aus Mitarbeitern der Polytechnischen Universität Turin sowie der Unternehmen Geostudi Astier und 3DGeoimaging, mit drei Bodenradarsystemen mit unterschiedlichen Frequenzbändern von 150 MHz bis 3 GHz aus.


Kombination aus Hoch- und Niederfrequenzbodenradarmessungen



Weil die verzierten Wände zerstörungsfrei untersucht werden mussten, entwickelte und baute das Forschungsteam eigenes Equipment, um die Antenne in einem gewissen Abstand von den Wänden bewegen zu können.

„Die Herausforderung lag in der ungewöhnlichen Ausrichtung unserer Instrumente: Unser Bodenradar musste parallel zur Kammerwand gleiten, um die dahinterliegenden Räume zu erfassen. So etwas wurde zuvor noch nie versucht“, erzählt Catanzariti.

Hochfrequenz-Messungen bieten eine höhere Auflösung für die potenzielle Identifikation von flachen Anomalien an Türecken oder Füllmaterialien aus inhomogenen Werkstoffen. Es war geplant, einen ca. 1,5 Meter hohen Streifen entlang der West- und Nordwand mittels Hochfrequenz-Scans zu vermessen. Alle Bodenradarprofile wurden mit einem System bestehend aus einer Aladdin 2GHz IDS GeoRadar-Antennnenbox und einer IDS GeoRadar K2-Bedieneinheit erfasst.

Niederfrequenz-Messungen arbeiten mit elektromagnetischen Wellen und dienen der Erkennung tieferer Hohlräume. Die Niederfrequenz-Scans erfolgten mit einer abgeschirmten IDS GeoRadar RIS TR200-Antenne im TE-Modus von unten nach oben. Für Scans in den mittleren Frequenzen kam ein doppelt polarisiertes IDS GeoRadar Stream C-System mit mehreren Kanälen zum Einsatz.

Stream C erlaubte pro Durchlauf die gleichzeitige Aufzeichnung von 23 Radarprofilen im TM-Modus bzw. von neun Radarprofilen im TE-Modus.

Am Ende summierten sich die in unzähligen horizontalen und vertikalen Scans der Wände erfassten Radargramme auf 2,7 Kilometer.


Auf der Suche nach den verborgenen Kammern



Den ausgewerteten Hochfrequenz-Daten konnte das italienische Team keine Hinweise auf eine Vertikalebene (rechtwinklig zu den gescannten Wänden) entnehmen, die sich als Grenze zwischen dem Fels und einer blockierenden Wand interpretieren ließen. Die Experten kamen zu der Erkenntnis, dass die Ergebnisse der ersten Bodenradarvermessung von KV62 vermutlich auf sogenannte Geistersignale zurückzuführen sind, und schlossen sich den Folgerungen der Verantwortlichen der zweiten Messung an.

Diese konnte jedoch – möglicherweise aufgrund der geringen verfügbaren Zeit und räumlichen Ausdehnung – keine endgültigen Ergebnisse liefern. Anders bei der aktuellen Mission: Das Forschungsteam kann heute mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass sich die Theorie von versteckten Kammern, die an das Grab des Tutanchamun angrenzen, nicht durch Bodenradardaten nachweisen lässt.

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